Manche werden sich fragen, was die einzelnen Kunst-Stationen bedeuten. Die oft gestellte Frage:
„Was soll das Kunstwerk sagen?" wird hier jetzt beantwortet. „Nichts" kann es sagen, es darf sich
nur zeigen. Denn welchen Sinn hätte das Kunstwerk, wenn dessen Sinn auch durch Worte
vermitteln werden könnte. Künstlerische Arbeiten treffen uns nicht so sehr auf der logischen Seite
unseres Gehirns, sondern insbesondere auf der für uns oft unbegreiflichen Welt des
Ganzheitlichen. Da sich das Ganzheitliche fast immer einer logischen Beurteilung entzieht, wird es
meist als Chaos benannt. Chaos hat dann oft einen negativen Beigeschmack, weil man gewohnt
ist, alles was man nicht versteht, abzuwerten. Die Wissenschaft aber betreibt bereits
Chaosforschung, weil sich in der normalen Logik die Welt nicht umfassend beschreiben lässt.

Ein Kunstwerk lässt sich ebenso wenig mit der logischen Struktur der Worte erfassen, denn auch
eine noch so genaue Beschreibung gibt nicht den Eindruck wieder, den dieses Werk auf uns
macht. Bilder und Objekte korrespondieren mit unseren eigenen inneren Bildwelten, die mit
unseren Gefühlen eng verkoppelt sind. Die Gefühle sind der ältere Teil unserer Wahrnehmung,
nicht etwa die Logik. Die Logik, der Verstand wurzelt auf dem Gefühl, wie ein Baum auf der Erde.
Und um im Bild zu bleiben, diese Gefühlswelt ist für die meisten von uns genauso dunkel und
unerforscht wie das Erdinnere.

Die Gefühlswelt wird mancher einwenden, ist doch bekannt: Manchmal freut man sich, manchmal
ist man traurig. Dabei vergisst man in der Regel die sogenannten „bösen" Gefühle, die man hat
und eigentlich nicht haben will oder haben soll, die man so gut versteckt vor anderen und auch vor
sich selbst, die sogenannten Schattenseiten. Zum Ganzheitlichen gehören auch diese
Schattenseiten, sie sind Teil von Ihnen und Ihre mächtigsten und lebenstüchtigsten Antriebe. Aber
sie sind überall tabuisiert: Sie stören angeblich "die Harmonie". Doch gerade Harmonie braucht
diese Schattenseiten. Harmonie ist nämlich die Ausgewogenheit zwischen zwei oder mehreren
Extremen. Harmonie heißt Gegensätze zur gleichen Zeit am selben Ort: Also gut und böse, Feuer
und Wasser, hell und dunkel. Dieses gleichzeitige Zulassen von Gegensätzen ist das Wesen der
Kunst und ihre kulturelle Leistung. Die Kunst zeigt aber noch mehr.

Sie zeigt, dass diese Gegensätze, diese Pole sich gegenseitig brauchen und bedingen. Am
Beispiel kann dies deutlich gemacht werden. Versuchen sie auf ein weißes Papier eine weißes
Quadrat zu malen. Sie kommen ins Grübeln. Die Lösung ist ganz einfach. Sie malen alles
außerhalb des Quadrates schwarz an. Nur durch den Gegensatz des Schwarzen ist das weiße
Quadrat sichtbar geworden. (Hier sei an die Schattenseiten erinnert.) Dies ist eines der inneren
Gesetze der Kunst wie auch übrigens der Natur.

Diese Gesetze wirken auch in einem Kunstwerk oder Bild, das Sie besonders anspricht. Wenn es
Ihnen gefallen hat, sind Sie davon berührt worden, es ist Ihnen verwandt. Es hat mit ihnen
korrespondiert und ihnen im besonderen Maße gezeigt, dass alle ihre inneren Seiten akzeptiert
werden. Die „weißen und die schwarzen", die lustigen und die traurigen, die geradeheraus und die
verqueren, die guten und die bösen. Sie haben sich verstanden gefühlt. Der Maler George Braque
schrieb einmal den Satz: "Ein Künstler der nicht beunruhigt - was will der überhaupt." Sich
verstanden zu fühlen scheint vordergründig zu beruhigen, ist aber in der Tat das Beunruhigendste,
was einem widerfahren kann. Denn nun ist man aufgefordert, der zu werden, der man eigentlich
ist. Den Schritt aus dem Gewohnten zu wagen, sich selbst zu verwirklichen, sich treu zu sein. Und
durch die Kunst wird man dazu herangeführt.

Das ist aber keine Lizenz zum Bösesein. Es ist menschlich, dass man nicht nur Nettigkeiten in
seinem Herzen trägt, sondern auch Gefühle, die andere Menschen verletzen können. Wenn man
diese vor sich versteckt, dann erst werden sie destruktiv. Um das zu verhindern, sollte man sie
anschauen und sie gleichsam wie in einem Bild wie hell und dunkel, wie verschiedene Farben vor
sich nebeneinander stehen lassen.